Die Wiederheirat wird in vielen Kirchen entweder nicht oder nur mit schlechtem Gewissen oder in Form einer „Segnung“ durchgeführt.
Der Grund dafür sind zwei prominente und wie es im ersten Moment scheint klare Stellen im Neuen Testament:
Jesus sagt in Mt. 19, 9 „Ich sage euch aber, dass, wer immer seine Frau entlässt, außer wegen Hurerei, und eine andere heiratet, Ehebruch begeht; und wer eine Entlassene heiratet, begeht
Ehebruch.“
Dieser Gedanke wird bei den anderen Synoptikern wiederholt.
Die zweite Stelle steht in 1. Kor 7:
10 „Den Verheirateten aber gebiete ich – nein, nicht ich, sondern der Herr –, dass die Frau sich nicht von ihrem Manne scheiden lassen soll – 11 hat sie sich aber scheiden lassen, soll sie ohne
Ehe bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen – und dass der Mann seine Frau nicht fortschicken soll.“
In Vers 15 macht Paulus aber eine interessante Ausnahme geltend, nämlich für den Fall, dass der Ehepartner ungläubig ist:
„15 Wenn aber der Ungläubige sich scheiden will, so lass ihn sich scheiden. Der Bruder oder die Schwester ist nicht gebunden in solchen Fällen. Zum Frieden hat euch Gott berufen.“
Schwierigkeiten bei der Auslegung der einschlägigen Stellen
Die gängige Auslegung, wonach diese Stellen die Wiederheirat verbieten, bereitet mehrere Schwierigkeiten:
Im Alten Testament ist die Wiederheirat überhaupt nicht verboten, außer für den Mann, nachdem er seine Frau entlassen hat und sofern sie in der Zwischenzeit einen anderen geheiratet hat. (5. Mose
24)
Das Verbot der Wiederheirat wäre auch extrem grausam gegenüber der Frau, die nicht nur mit dem Makel der Verstoßenen zu kämpfen gehabt hätte, sondern für die eine Scheidung regelmäßig zu Armut
und Verelendung geführt hätte.
Der Scheidebrief sollte der Frau gerade die Möglichkeit geben, wieder zu heiraten, er war also in unserem Behördendeutsch die „Ehefähigkeitsbescheinigung“ und die stellt Jesus gar nicht in Frage
sondern sieht deren Notwendigkeit durchaus, solange es Herzenshärtigkeit gibt. In gewisser Weise kann man diese unnachgiebige Haltung, die dem anderen das Leben schwer macht, als Scheidungsgrund
gelten lassen, weil nicht der weniger verhärtete Partner darunter leiden soll. Die Scheidung ist daher in manchen Fällen offenbar notwendig, aber mindestens einer der Beteiligten geht dann
schuldig aus der Beziehung heraus - aber nicht immer beide!
Der Text von Jesus lässt auf den ersten Blick kaum erkennen, wer an diesem Ehebruch eigentlich schuld ist, bzw. wenn man ihn wörtlich nimmt, ist es der Ehemann, der am Ehebruch seiner Frau schuld
ist. Oder ist es derjenige, der sie dann heiratet? Oder ist sie es, die sich wieder verheiratet? Oder sind alle drei schuld? In der Praxis führt diese Unsicherheit dazu, dass die Geschiedenen
aufgrund des Textes sicherheitshalber nicht heiraten, um keine Schuld auf sich zu laden.
Hinzu kommt die Unklarheit des Begriffs der „Unzucht“ bei Jesus bzw. des „ungläubiger Partner“ bei Paulus. Hat Jesus nicht schon den lüsternen Blick zum Ehebruch erklärt? Welche Ehe könnte dann
nicht geschieden werden? Was soll man von den Fällen halten, in denen ein Partner sich zwar als gläubig ansieht, aber die Partnerin ihm zu streng erscheint? Oder wenn sie sich in grundsätzlichen
theologischen Fragen nicht einigen können? Oder wenn er gläubig ist aber an diesem Punkt der Bibel einfach nicht glauben will oder kann und sich trotzdem scheiden möchte? Darf der andere Partner
sich dann wieder verheiraten oder ist er durch den Glauben - wie auch immer er sich darstellt - in besonderer Weise in der Ehe gebunden?
Es ist theologisch schwierig mit zwei Ausnahmeklauseln zu arbeiten, die beide als alleinige Ausnahmen zu gelten scheinen: also Unzucht und ein ungläubiger Partner, der sich scheiden lassen
will.
Diese kurze Liste an Problemen legt schon den Verdacht nahe, dass mit der gängigen Auslegung etwas nicht stimmen kann, und im Folgenden möchte ich zeigen, wie die Stellen meiner Meinung nach zu
verstehen sind.
Systematische Auslegung
Zunächst soll es um die Aussage von Jesus gehen, die an drei Stellen im Neuen Testament in abgewandelter Form genannt wird:
Mt 5, "31 Es ist auch gesagt: »Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief geben.« 32 Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen
Unzucht, der macht, dass sie die Ehe bricht; und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe.“
Dann die bereits zitiert Stelle aus Mt 19:
„7 Sie sagen zu ihm: Warum hat denn Mose geboten, einen Scheidebrief zu geben und zu entlassen? 8 Er spricht zu ihnen: Mose hat wegen eurer Herzenshärtigkeit euch gestattet, eure Frauen zu
entlassen; von Anfang an aber ist es nicht so gewesen. 9 Ich sage euch aber, dass, wer immer seine Frau entlässt, außer wegen Hurerei, und eine andere heiratet, Ehebruch begeht; und wer eine
Entlassene heiratet, begeht Ehebruch.“
Dieser Text wird ganz ähnlich in Mk 10 wiederholt, allerdings mit einem interessanten Variante in V.12:
„Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch gegen sie. 12 Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“
Tatsächlich lässt die Grammatik in Mt 19 dieselbe Deutung zu wie Mk 10, also dass die Frau diejenige ist, die sich scheiden lässt.
Das Problem wäre dann also nicht, dass sie wieder heiratet, sondern dass sie sich von ihrem Mann getrennt hat - und so darf man wohl unterstellen - um wieder zu heiraten, denn der Scheidebrief
war eben die Bescheinigung, die man sich genau für diesen Fall hat ausstellen lassen. Wollte sie nur vor einem groben Ehemann fliehen, hätte sie sich zu ihren Verwandten flüchten können. Den
Scheidebrief brauchte sie nur für die Wiederheirat.
Mit dieser Übersetzung wirkt der Text stimmiger, weil die beiden Aussagen von Jesus nicht mehr als eine fortlaufende Geschichte verstanden werden, in der erst ein Mann seine Frau entlässt und die
dann von einem anderen geheiratet wird, sondern als die beiden Fälle, mit denen man es bei einer Scheidung zu tun haben kann: entweder entlässt der Mann die Frau oder die Frau lässt sich
scheiden. Und in beiden Fällen würde dann die Ausnahme gelten, dass eine Scheidung im Fall von Unzucht auch zulässig wäre - in allen anderen Fällen nicht.
Worin besteht aber diese „Unzucht-Klausel“? Im allgemeinen Sinn ist damit Sex mit anderen gemeint, was wiederum dazu geführt hat, die Ehe als etwas anzusehen, was nur durch Sex aufgelöst werden
kann und vielleicht - so wie in der katholischen Kirche - auch nur durch Sex erst gültig wird? Genau hier liegt die Sorge vieler Geschiedener, dass sie auch nach einer Scheidung noch vor Gott als
verheiratet angesehen werden und dieses unsichtbare Band nur durch Sex lösen können, was also bedeutet, dass sie warten müssen, bis der Partner eine neue Ehe eingeht.
Wenn man sich den Text von Jesus genau ansieht, stellt man fest, dass die Formulierungen hier eindeutig dem scheidenden Partner die Schuld zuweisen, also der Mann, der seine Frau (außer im Fall
von Unzucht) entlässt, macht sich des Ehebruchs schuldig. Dass die Frau wieder heiratet (oder es zumindest versucht), steht für ihn offenbar außer Frage, denn die Folge wird wie
selbstverständlich benannt - und alles andere wäre wie gesagt sozial auch grausam gegenüber der Frau. Was Jesus also sagt, ist, dass ein Mann, der seiner Frau den Scheidebrief gibt (außer im Fall
von Unzucht), sich nicht damit beruhigen kann, dass er ja die Regeln des Gesetzes eingehalten hat und mit dem Scheidebrief eine gesetzestreue Lösung gefunden hat, sondern er macht sich des
Ehebruchs schuldig. Er wird schuldig, nicht seine Frau, auch wenn sie dadurch natürlich Sex mit einem anderen Mann hat. Die Formulierung ist daher etwas kompliziert im Griechischen aber die
Schuldfrage ist eindeutig.
Dasselbe gilt analog natürlich auch für die Frau, die sich scheiden lässt, bzw. den Mann veranlasst, ihr den Scheidebrief zu geben. Interessant ist an diesem zweiten Fall, dass hier aber nicht
nur die Frau als Ehebrecherin erscheint, sondern auch derjenige, der sie heiratet. Also auch der Mann, der den Scheidebrief in Empfang nimmt, kann sich nicht auf seine Gesetzestreue berufen,
indem er nur eine Frau heiratet, die sich ordnungsgemäß einen Scheidebrief hat ausstellen lassen, sondern er wird mitschuldig an ihrem Ehebruch, was nicht weiter erstaunlich ist, weil in den
meisten Fällen eben dieser Mann wohl auch der Anlass für die Scheidung gewesen sein dürfte. Aber selbst wenn er es nicht war, sollte er dringend die Finger von dieser Ehe lassen und die Frau eher
dazu ermutigen, wieder zu ihrem Mann zurück zu kehren - womöglich hatte sie ja auch seine Zeichen etwas falsch gedeutet.
Man kann aufgrund dieser Auslegung nicht nur die Wiederheirat für den Geschiedenen Part begründen, man kann auch besser verstehen, was es mit der „Unzucht-Klausel“ auf sich hat, ohne sich in
Details über zulässige und unzulässige Grenzüberschreitungen zu verlieren, denn wenn der passive, geschiedene Part sich wieder verheiraten darf, hat er dieselben Rechte wie derjenige, der sich
von seinem ehebrecherischen Partner trennen möchte. Die inhaltliche Klammer wäre dann: eine Ehe wird von Gott geschlossen und darf niemals von Menschen geschieden werden. Die Scheidung darf immer
nur nachträglich beschlossen werden, nachdem der Partner den Bund bereits aufgekündigt hat, und das kann er durch sein klares Verhalten im Umgang mit dem anderen Geschlecht ebenso bewerkstelligen
wie durch seine bloße Willensbekundung, sich scheiden lassen zu wollen. In beiden Fällen ist der passive Part frei, sich wieder zu verheiraten. Welche Grenze dabei genau verletzt werden muss, um
als „unzüchtig“ zu gelten, ist über weite Strecken kulturell abhängig, aber jede Zeit wird dabei ihre Grenzen haben, ab denen ein Partner das Ein-Fleisch-Seins seiner Ehe als zerbrochen ansehen
kann. Entscheidend ist dabei nicht ein unsichtbares Band, dass körperlich zertrennt werden muss sondern der bewusste Ausstieg aus der Eher durch Wort oder Tat (sonst wäre eine Ehe auch
zerbrochen, wenn der Frau K.O.-Tropfen verabreicht würden oder sie auf andere Weise vergewaltigt würde!).
Diese Auslegung hat einen weiteren Vorteil, weil sie sich nahtlos an das anfügt, was Paulus sagt. Auch in 1. Kor 7 geht es um einen Partner, der sich scheiden lassen möchte. Dass für Christen
andere Regeln gelten, liegt aber nicht daran, dass ihre Ehe grundsätzlich unauflösbarer ist als die von Nicht-Christen sondern daran, dass ein Nicht-Christ sich wohl schlichtweg nicht darum
kümmern würde, was ein Apostel oder auch Jesus dazu sagt. Die Begründung von Paulus besteht ja auch nicht in der vermeintlich minderen Qualität der Ehe mit Ungläubigen sondern darin, dass Gott
uns zum Frieden berufen hat.
Nun könnte sich natürlich jeder darauf berufen, dass seine Ehe nicht friedlich ist und er damit ja die Rechtfertigung hätte, sich scheiden zu lassen, aber ganz so einfach ist es nicht. Christen
sollen sich eben zusammen raufen oder notfalls trennen, wenn sie das nicht schaffen. Solange aber von beiden noch der grundsätzliche Wille zur Ehe vorhanden ist, den man bei Christen voraussetzen
können muss, gibt es keine Alternative zur Arbeit an sich selbst und der Partnerschaft oder eben einer Trennung ohne Wiederheirat. Nur wenn ein Partner die Ehe aufkündigen möchte, hat der andere
nicht die Verantwortung, ihn in der Ehe zu halten, denn Friede ist immer nur möglich, wenn beide Seiten dazu bereit sind. Einseitig kann man Menschen vielleicht mit Psycho-Spielchen und
Manipulationen an sich binden, aber keinen Frieden schaffen, und genau diesen Fall will Paulus hier offenbar vermeiden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Partner ungläubig ist oder sich als
Christ versteht, wenn er die Ehe auflösen möchte, ist der andere von seinen Verpflichtungen entbunden.
Über den Umgang mit Geschiedenen in der Gemeinde
Nicht nur in der Bibel klaffen eine extrem liberale Scheidungspraxis und die Bedeutung der Eher aufeinander sondern auch in der jüdischen Auslegung. Jesus bringt diese beiden Sichtweisen in
meinen Augen sehr verständlich zusammen, indem er zwei Perspektiven unterscheidet: indem er von der Notwendigkeit des Scheidebriefes spricht, sieht er die Rolle der Gesellschaft und der Gerichte
an, die von außen dem hartherzigen Ehepartner keine Steine in den Weg legen soll, wenn er sich trennen möchte, weil jeder weiß, dass diese Hürde voll zu Lasten seiner Partnerin geht. Die relativ
liberale Scheidungspraxis trägt dem Umstand Rechnung, dass niemand von außen wirklich beurteilen kann, was sich innerhalb der Ehe abgespielt hat. An der Scheidung ist trotzdem mindestens ein Teil
schuldig, und damit meine ich nicht, dass natürlich jeder Mensch in seiner Ehe an seinem Partner schuldig wird, sondern dass mindestens einer wirklich aufgehört hat, an der Ehe fest zu halten und
die Ehe auflösen wollte.
Wir haben hier also den Fall einer Schuld, die aber nicht geahndet werden soll, weil äußere Regeln in dem sensiblen System einer Ehe nur Schaden anrichten würden und die Ehe zu einer Karikatur
dessen machen würden, was Gott sich eigentlich darunter gedacht hat.
Nun ist eine Gemeinde zwar kein Gericht, aber die Frage, wie sie mit Scheidung und vor allem einer Wiederheirat umgeht, stellt sich für sie natürlich trotzdem. Meine Empfehlung wäre aus den
genannten Gründen eine sehr niederschwellige Anerkennung von Scheidungen und eine großzügige Akzeptanz einer Wiederheirat, wobei gleichzeitig in der Lehre die Unauflösbarkeit der Ehe festgehalten
werden muss.
Im Rahmen dieses Essays kann ich natürlich nicht alle denkbaren seelsorgerlichen Fragen rund um den Themenkreis behandeln, aber ich denke, dass diese grobe Richtung sich gut mit dem deckt, was
Jesus selbst sagt, indem er den Scheidungsbrief als rechtliches Instrument in seiner Notwendigkeit anerkennt, gleichzeitig aber die Schuld dessen sieht, der davon Gebrauch macht.