Was ist die "Sünde gegen den Heiligen Geist"?

Es kommt nicht selten vor, dass Christen die Frage umtreibt, ob sie die Sünde gegen den Heiligen Geist begangen haben. Sie beziehen sich dabei auf eine Aussage von Jesus, die von allen drei Synoptikern berichtet wird: Mt 12,32; Mk 3, 2, Lk 12,10.

 Mt 12,30 „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut. 31 Deshalb sage ich euch: Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden; aber die Lästerung des Geistes wird nicht vergeben werden. 32 Und wenn jemand ein Wort reden wird gegen den Sohn des Menschen, dem wird vergeben werden; wenn aber jemand gegen den Heiligen Geist reden wird, dem wird nicht vergeben werden, weder in diesem Zeitalter noch in dem zukünftigen.“ (Alle Zitate aus der Revidierten Elberfelder Übersetzung)

Worum es sich bei dieser Sünde genau handelt, wird in keiner der drei Stellen näher ausgeführt, was bei den Betroffenen die Angst weckt, es handle sich um eine Art Falle, in die man aus Versehen tappt. Ergänzt wird dieser Gedanke dann noch mit Heb. 12, 16f, wo scheinbar von Esaus vergeblicher Buße berichtet wird.
Was meint Jesus, wenn er vor dieser Sünde warnt? Und können wir diese Frage überhaupt beantworten, wenn er keine Erklärung dazu gibt?

Wenn wir uns den Kontext ansehen, finden wir erste Hinweise:
Matthäus und Markus berichten unmittelbar davor von der Heilung eines Besessenen, die viel Aufmerksamkeit im Volk erregte und die Menschen polarisierte. Die einen fragten sich, ob Jesus der Sohn Davids sei, die anderen erklärten das Wunder damit, dass Jesus die Dämonen mit dem Beelzebub, also dem obersten der Dämonen austreibe.
Jesus erklärt daraufhin, dass der Gedanke in sich nicht stimmig sei und schließt eben mit der ernsten Warnung, dass zwar jede Sünde gegen ihn selbst vergeben werde, nicht aber die Sünde oder Lästerung (wörtlich „Blasphemie“) gegen den Heiligen Geist - und zwar weder hier auf der Erde noch in der zukünftigen Welt. Markus weist ausdrücklich darauf hin, dass er das als Reaktion auf ihre Behauptung sagte, er habe einen „unreinen Geist“.

Bei Lukas steht die Warnung in einem anderen Kontext: hier beginnt der Abschnitt mit einem Blick auf die Volksmengen, die sich bereits zu „Tausenden“ um Jesus versammelten und sich gegenseitig traten (Lk 12,1). Jesus ließ sich von diesen Menschenmassen aber nicht beeindrucken sondern sagt nüchtern, dass sie darauf achten sollen, keine Heuchler wie die Phärisäer zu werden, weil ohnehin alles ans Licht kommen werde. Dann spricht er von den Verfolgungen, denen seine Jünger ausgesetzt sein werden und wie wichtig es ist, ihn nicht zu verleugnen und schließt bei Lukas umgehend mit der Warnung vor der Sünde gegen den Heiligen Geist. Wenn man die Ausgangssituation dieser Volksschar mit ihren gemischten Motiven berücksichtigt, scheint es ihm also darum zu gehen, unter diesen vielen Menschen die Spreu vom Weizen zu trennen, und die erfolgt spätestens unter dem Druck der Verfolgung.


Es wäre müßig, den genauen Ablauf der Situation anhand dieser drei Stellen rekonstruieren zu wollen, aber die Warnung vor der Sünde gegen den Heiligen Geist hat bei allen eine ähnliche Funktion, nämlich für Klarheit der wahren geistlichen Verhältnisse zu sorgen: die Kritiker bei Matthäus und Markus müssen Farbe bekennen und können ihre tiefe Ablehnung Jesu nicht mehr ihren vernünftigen Argumenten zuschreiben, und die oberflächlich begeisterten Nachfolger müssen ihr wahres Gesicht in der Verfolgung zeigen. In beiden Fällen sind Menschen an einen geistlichen Klärungsprozess gekommen. Und Menschen mögen es nicht, wenn auf einmal Licht auf ihren wirklichen geistlichen Zustand fällt und sie merken, dass sie letztlich vor einer unwiderruflichen Entscheidung stehen.
Wenn Jesus bei Matthäus und Markus also scheinbar kontextlos davor warnt, den Heiligen Geist zu schmähen, lenkt er den Blick von dem äußeren Wortwechsel auf die geistliche, die innere Seite.
Während ein Mensch äußerlich vielleicht mit Argumenten zu ringen scheint, hat er sich innerlich längst entschieden und sucht jetzt nur noch nach einem Weg, den Platz ohne Gesichtverlust zu verlassen. Er will Jesus nicht folgen. Der entscheidende Kampf findet im Inneren des Menschen statt, dort wo der Heilige Geist überführt und Klarheit schenkt.

Jesus wusste, dass viele Menschen in seinem Umfeld unsicher waren, ob sie ihn als Messias ansehen sollten, weil sie dafür ihre Erwartungen korrigieren mussten, aber er hatte Verständnis für sie und nahm sich unendlich (und für den Leser dieser Dialoge teilweise fast quälend) viel Zeit, um mit ihnen zu diskutieren. Aber er wusste auch, dass aus dem ehrlichen Fragen und der Unsicherheit irgendwann Gewissheit werden konnte, die die Menschen in die Verantwortung und  zu einer bewussten Entscheidung im Licht völliger Klarheit führte. Als Jesus seine Hörer vor der Lästerung des Heiligen Geistes warnte, erkannte er, dass sie Gefahr liefen, aus einem intellektuellen Spiel ein tödliches zu machen. Sie waren an einem Punkt angekommen, an dem ihr Fragen und ihrer Unsicherheit beendet war und sie sich bewusst gegen das gewandt haben, was der Heilige Geist in ihnen an Erkenntnis gewirkt hatte, so dass sie sogar als Verführer der anderen Menschen auftraten.

Bei Matthäus folgt dann interessanterweise direkt im Anschluss das Bild vom Baum und den Früchten, also ein Bild, das veranschaulicht, wie die innere Natur sich im Äußeren verwirklicht und dadurch sichtbar wird. Im Falle derjenigen, die Jesus vorwerfen, er habe einen unreinen Geist, handelt es sich also um eine Aussage, die das wahre Wesen dieser Personen offenlegt. Es ist keine unglückliche Formulierung oder ein ernsthaftes Fragen mehr sondern durch ihr Argumentationsverhalten ist ihr wirkliches ablehnendes Wesen ans Licht gekommen.

Bei Markus folgt der bemerkenswerte Auftritt von Jesu leiblicher Familie, in der seine Mutter und seine Geschwister ihn rufen lassen und bremsen wollen, woraufhin er sagt „Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und Schwester und Mutter“ (Mk 3,20 REÜ).
Auch hier geht es um die Unterscheidung einer äußeren und einer geistlichen Seite, die leibliche und die (wahre) geistliche Verwandtschaft.
Weder kluge und scheinbar geistliche Reden noch die leibliche Verwandtschaft mit Jesus noch die oberflächlich begeisterte Nachfolge hat einen Wert sondern allein der Gehorsam zeigt, wo ein Mensch steht.

Wir können also sagen, dass diese Sünde nicht aus Versehen begangen wird, dass es keine bestimmte Formulierung ist und schon gar kein Zweifel oder Vorbehalte, denn diese Dinge können bei jedem Christen vorkommen. Das unterscheidet z.B. auch Menschen, die sich unter Druck gegen den christlichen Glauben bekennen von Petrus, der offenbar von der Situation an Karfreitag überrumpelt wirkt und im Gegensatz zu Judas wieder den Kontakt mit Jesus sucht.
Mit der Sünde gegen den Heiligen Geist trifft der Mensch eine bewusste Entscheidung gegen Gott trotz klarer Erkenntnis.

Und das unterscheidet sie grundsätzlich von anderen Sünden, denn jede Sünde ist zwar eine bewusste Sünde, die also ein gewisses Maß an Klarheit voraussetzt, aber sie wird begangen, OBWOHL der Mensch damit gegen Gottes Willen verstößt. Bei der Sünde gegen den Heiligen Geist sündigt der Mensch, WEIL er damit gegen Gottes Willen verstößt.

Ohne diese Unterscheidung wäre wohl jede Sünde unvergebbar, und das widerspräche nicht nur jedem grundlegenden Verständnis des Evangeliums, sondern auch dem Text selbst, in dem Jesus ja alle anderen Sünden von dieser besonderen Sünde unterscheidet. Jesus sagt in dem Zusammenhang ausdrücklich, dass jede Sünde vergeben wird - eben außer dieser einen besonderen.

Erkenntnis und Bewusstheit spielen bei der Einschätzung der Sünde also offenbar eine wichtige Rolle, wobei der Grad dieser Erkenntnis sehr unterschiedliche Niveaus erreichen. Wir kennen alle die kleinen oder großen Ausreden, das Beschönigen so wie die schlichte Schwachheit unseres Willens. Auch Christen können in Sünde geraten, unter der sie furchtbar leiden und gegen die zu bestehen sie phasenweise keine Kraft haben. Das ist bis zu einem gewissen Grad normal, aber wie die Warnung vor der Sünde gegen den Heiligen Geist zeigt, kann sich unter einer vermeintlichen Schwachheit oder Unwissenheit auch Ablehnung verbergen.

Man kann also sagen, dass jede Sünde den Menschen in eine gefährliche Richtung bringt, aber nur die Sünde gegen den Heiligen Geist setzt ein Maß an Erkenntnis voraus, in dem das innere Ringen um den Glauben an ein Ende gekommen ist.

Wo die genaue Grenze verläuft, lässt sich von außen nicht sicher sagen, aber da es noch einige weitere Stellen gibt, an denen die Hörer vor derselben Gefahr gewarnt werden, lässt sich das Verständnis für diese besondere Sünde noch aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.

Jes 63, 10 „Sie aber, sie sind widerspenstig gewesen und haben seinen heiligen Geist betrübt. Da wandelte er sich ihnen zum Feind: Er selbst kämpfte gegen sie.“

Die konkrete Situation wird bei Jesaja nicht näher genannt, aber die Geschichte der Auflehnung gegen Gott wird hier als ein geistlicher Aufruhr gekennzeichnet. Die Menschen sagen das eine und meinen das andere. Sie behaupten, Angst vor dem Verhungern zu haben, aber eigentlich wollen sie nicht von Gott abhängig sein. Sie haben Angst vor Feinden, aber eigentlich wollen sie nicht mehr Gott folgen.

Heb 6,4-6 „Denn es ist unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet worden sind und die himmlische Gabe geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das gute Wort Gottes und die Kräfte des zukünftigen Zeitalters geschmeckt haben und ⟨doch⟩ abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern, da sie für sich den Sohn Gottes wieder kreuzigen und dem Spott aussetzen.“

Auch hier geht es um Menschen, die in irgendeiner Form Erkenntnis vom Heiligen Geist geschenkt bekommen haben und sich daraufhin aber dagegen entschieden haben.

Heb 10, 26-29 „Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, 27 sondern ein furchtbares Erwarten des Gerichts und der Eifer eines Feuers, das die Widersacher verzehren wird. 28 Hat jemand das Gesetz Moses verworfen, stirbt er ohne Barmherzigkeit auf zwei oder drei Zeugen hin. 29 Wie viel schlimmere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein erachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?“

Das „mutwillig“ kann einfach mit „freiwillig“ übersetzt werden und wird aber in dem Abschnitt selbst erklärt: Es geht darum, den Sohn Gottes mit Füßen zu treten, das Blut des Bundes zu profanisieren und den Geist der Gnade zu schmähen. Hier wird das eigentliche Wesen der Blasphemie beschrieben, nämlich das Leugnen der geistlichen Realität und ein Herabwürdigen des Heiligen zu alltäglichen, irdischen Zwecken. Das perfide daran ist, dass er sehr religiös aussehen kann und offenbar auch unter Christen vorkommt, die das Evangelium dann für eine mechanisch juristische Sündenvergebungsanordnung halten, die ein ungezügeltes Leben ermöglicht. Aus dem geistlichen Reich Gottes wird dann ein Aberglaube, der böses Leben ohne schlechtes Gewissen ermöglicht. Die Gnade wird dann zu einem therapeutischen Mittel, weiter sündigen zu können und sich dabei gut zu fühlen, und in diesem Sinne Hilfsmittel für ein irdischen, teuflischen Leben.

Die nächste Stelle stammt aus der Rede des Stephanus.

Apg 7, 51f „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“  

Auch hier tauchte der Heilige Geist nicht ausdrücklich in den Geschichten auf. Stephanus qualifiziert ganz ähnlich wie Jesaja (Zitat weiter oben) den Ungehorsam als bewussten widergöttlichen Affront.

Man sieht also, dass ein Mensch seine Chance auf Rettung verwirken kann und dies immer wieder mit einem Aufstand gegen den Heiligen Geist begründet wird, selbst dann, wenn der Mensch es selbst gar nicht so formulieren und tausend andere Gründe für sein Verhalten anführen würde.
Da dieser Fall also offenbar immer mit einem bewussten Affront verbunden ist, bildet er aber nur den Extremfall eines allgemeinen Prinzips, nach dem Strafmaß und Erkenntnis zusammenhängen, und zu dem Thema lassen sich noch eine Reihe weiterer Stellen finden:

In 2. Mose 22,1 wird z.B. unterschieden, ob ein Dieb nachts oder bei Tageslicht erwischt wird. Wenn der Hausherr ihn nachts tötet, wird es ihm nicht als Mord angerechnet, bei Tag aber durchaus. Der Grundgedanke ist klar: nachts ist die Bedrohungslage erheblich schwerer einzuschätzen, also die Stärke des Eindringlings, ob er bewaffnet ist und vor allem, wo man ihn überhaupt treffen kann. Bei Tageslicht wird offenbar erwartet, dass man mit Augenmaß vorgeht.
Wir kennen diesen Grundsatz auch in unserem moralischen Empfinden, dass eine Tat irgendwie bewusst und absichtlich begangen werden musste, um strafbar sein zu können.
Jesus wendet diesen Gedanken auch an, wenn er am Kreuz für seine Mörder bittet:

Lk 23,34 „Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Paulus spricht im Brief an Timotheus über die Gnade, mit der Gott ihn als Diener eingesetzt hat, obwohl er ein Gotteslästerer und Verfolger der Christen war und schreibt auch hier:

1. Tim 1,13 „mir ist Barmherzigkeit zuteilgeworden, weil ich es unwissend im Unglauben getan hatte;“

Wir können daher wohl sagen, dass Jesus hier einen Gedanken aufgreift, der den Aposteln schon aus dem Alten Testament vertraut war und daher im Neuen Testament selbstverständlich vorausgesetzt wird. Es handelt sich also keinesfalls um eine einzelne möglicherweise unglückliche Formulierung, die man jetzt irgendwie exegetisch entschärfen müsste, auch wenn es an Ansätzen dazu natürlich nicht mangelt. Leider scheint sich gerade die Auslegung auszubreiten, nach der diese Stelle, wenn nicht für ungültig, so doch für zeitgebunden zu erklären, weil diese Sünde nur begangen worden sein konnte, solange Jesus hier auf der Erde war. Davon abgesehen, dass dieser Gedanke überhaupt keinen Sinn ergibt, weil Jesus ja gerade die Sünden gegen sich selbst vergibt und von der Sünde gegen den Heiligen Geist spricht (man müsste also von einer Zeit ausgehen, in der es keinen Heiligen Geist gibt, damit das Argument überhaupt nachvollziehbar wäre), zeigt wohl die kleine Auswahl an Bibelstellen dass die Ermahnung durchaus auch nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt noch Gültigkeit hatte.


Über die Möglichkeit der Buße

Die größte Sorge für Menschen, die in die Seelsorge kommen, besteht nun darin, dass sie befürchten, möglicherweise aufgrund ihrer Sünde gegen den Heiligen Geist nicht mehr zu Gott kommen zu können, obwohl sie das gerne möchten. Sie haben den Eindruck, irgendwie stehe etwas zwischen ihnen und Gott oder sie leiden unter einem tiefsitzenden Vorbehalt gegen ihn und fürchten, dass dieser quälende Zustand mit einer versehentlich begangenen Sünde gegen den Heiligen Geist zusammen hängt. Der Gedanke dahinter scheint zu sein: ein Mensch begeht die Sünde gegen den Heiligen Geist und erhält keine Vergebung, was sich daran zeigt, dass er bei Gott vor einer gefühlten Schranke steht, die ihn davon abhält, wieder zu ihm zurück zu kommen.

Dies wird wie gesagt gerne mit der vermeintlich erfolglosen Buße des Esau im Hebräerbrief begründet.

Hebr. 12, 12 „Darum »richtet die erschlafften Hände und die ermatteten Knie wieder auf« (Jes 35,3) 13 und »stellt für eure Füße gerade Bahnen her« (Spr 4,26), damit das Lahme nicht ganz vom rechten Wege abkomme, sondern vielmehr geheilt werde. 14 Trachtet eifrig nach dem Frieden mit jedermann und nach der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird; 15 und gebt acht darauf, daß niemand hinter der Gnade Gottes zurückbleibe, daß keine »Wurzel voll Bitterkeit« aufwachse und Unheil anrichte (5.Mose 29,17) und gar viele durch sie befleckt werden; 16 daß niemand ein ehebrecherischer oder verworfener Mensch sei wie Esau, der für eine einzige Mahlzeit sein Erstgeburtsrecht verkauft hat. 17 Ihr wißt ja, daß er auch später, als er den Segen zum Erbe erlangen wollte, abgewiesen wurde; denn er fand keinen Raum zu einer Gesinnungsumkehr, obgleich er sie unter Tränen suchte.“

Dieser Text scheint bei einer oberflächlichen Lektüre von einem Fall zu berichten, dass einem Menschen die Möglichkeit zur Umkehr verwehrt ist, obwohl er sich das von Herzen wünscht. Dieselbe Stelle kann man aber auch nutzen, um die Art dieser „Umkehr“ genauer zu beleuchten. In 1. Mose 27 wird uns tatsächlich nämlich ein Mann geschildert, der zwar laut darüber jammert, dass er sein Erbe verloren hat, welches ein Bild für den Himmel ist, aber von einer ehrlichen Reue ist im Text schlicht nichts zu finden. Es ist nicht zu erkennen, dass ihm auch nur Zweifel über sein eigenes Verhalten gekommen wären oder ein aufkeimendes Bewusstsein dafür, dass er gegenüber seinen Eltern schuldig geworden ist. Stattdessen lautes Geschrei und Mordpläne gegen seinen Bruder. Wir können also sagen, dass er die Entwicklung der Dinge bedauert hat, aber von Reue fehlt jede Spur.
Und trotzdem ist das Leiden Esaus ist real, er ist also kein Beispiel für einen Menschen, der mit seiner Gottlosigkeit Frieden findet, und genau das macht seinen Fall einerseits tröstlich, weil er eben kein Bild für einen aufrichtig nach Buße suchenden Menschen ist. Andererseits bedeutet er aber für Seelsorger, dass sie immer mit dem Fall rechnen müssen, einen Esau vor sich zu haben, also einen Menschen, der zwar Angst hat aber kein Interesse an wirklicher Buße hat.

Die Frage ist jetzt nur, ob und wie wir den Fall einer ehrlichen aber trotzdem erfolglosen Umkehr, damit wirklich ausschließen können, und dafür müssen wir noch einmal an die Ausgangsstellen zurückgehen, in denen Jesus über die Sünde gegen den Heiligen Geist spricht.

In allen drei Texten geht es wie gesagt um das Unterscheiden zwischen wahrem und geheucheltem Glauben, und das entscheidende Kriterium ist immer der Gehorsam, also die „guten Früchte“. Bei Matthäus taucht das Bild vom Baum und den Früchten direkt im Anschluss auf, bei Markus ist der Gehorsam zum Kennzeichen für diejenigen, die seine wahre Familie bilden und bei Lukas trennt sich unter seinen zahllosen Fans die Spreu vom Weizen dann vor Gericht.
Wie hilft uns diese Beobachtung weiter? Ganz einfach: Es gibt offenbar keinen Fall, in dem gute Früchte an einem schlechten Baum wachsen. Man kann die Zugehörigkeit zur Familie von Jesus nicht vortäuschen und im Gericht wird es keine abgefallenen Christen geben sondern es wird nur die wahre Gesinnung der Menschen ans Licht gebracht.
Der gefürchtete Fall einer vergeblichen Buße wäre also mit einem Baum vergleichbar, der eigentlich ein schlechter Baum ist aber eine gute Frucht hervorbringt, nämlich die Buße. Und genau das ist nicht möglich, das ist eben der Witz des Bildes.

Aber wie kommt es dann, dass jeder Mensch eigentlich immer eine Mischung aus guten und schlechten Früchten vorzuweisen hat? Wer kann sich schon mit dem guten Baum identifizieren? Und welcher Baum bringt wirklich ausnahmslos schlechte Früchte hervor?
Solche Einwände sind in meinen Augen ein Zeichen dafür, dass das Bild zu mechanisch übersetzt wurde, also jede einzelne Frucht für eine einzelne Tat steht. Wenn man aber an Menschen denkt, merkt man durchaus, dass ihr Gesamteindruck, den sie in Worten und Taten hinterlassen, eine bestimmte Persönlichkeit erkennen lassen. Und wir können bei Menschen, die wir etwas besser kennen lernen auch oft unterscheiden, wann eine vorgeblich gute Tat nur aus Eitelkeit und eine schlechte Tat aus Schwäche getan wurde. Das ist eine Fähigkeit, für die wir uns nicht schämen müssen, weil wir dazu im Neuen Testament aufgefordert werden.

Wenn jemand also die Werke der Buße tut, ist er ein guter Baum und seine Sünde war und ist Teil seiner alten Natur, die er in diesem Leben leider nicht ganz los wird aber die ihm vergeben wird. Er ist ein Mensch, der eigentlich eine neue Natur hat und dessen Bemühen zeigt, dass er bei allen inneren Kämpfen eigentlich schon den Entwicklungsprozess eines guten Baumes begonnen hat. Wer wirklich die Sünde gegen den Heiligen Geist begangen hat, würde sich vielleicht sogar wie Esau das Heil sichern wollen, falls er mal irgendwann sterben muss, aber an eine wirkliche Umkehr ist für ihn nicht zu denken.

Gerade weil es ein inneres Geschehen ist, von dem Jesus hier spricht (immerhin ist es eine Sünde gegen den Geist), kommen wir als Menschen hier an unsere Grenzen der Beurteilungsmöglichkeiten und müssen es daher auch nicht - auch nicht als Seelsorger. Und auch derjenige, der sich vielleicht fragt, ob er wegen seiner vermeintlich unvergebbaren Sünden nicht mehr zu Gott zurück kommen könne, sollte sich aus meiner Sicht daher weniger Gedanken darüber machen, wie schlimm seine Sünde war, sondern wie er zu einer aufrichtigen Buße kommen kann, denn dieses Bemühen ist mit der Sünde gegen den Heiligen Geist wie gesagt nicht vereinbar, wenn es ernsthaft ist.
Von außen lässt sich das wie gesagt kaum beurteilen, aber wir können versuchen, Menschen den Weg zur Buße zu zeigen und darauf hinweisen, dass es für ehrliche Buße immer Raum bei Gott gibt.

Auch Christen können unter dem Gefühl leiden, Gott sei ihnen nicht gnädig und müssen dann vielleicht ganz neu lernen, was Buße heißt, denn kein Mensch ist von Natur aus ein begeisterter Büßer.
Und genau dieses Ringen um die wahre Buße, ist Teil und Zeichen eines wahren Glaubens, den man gerade in diesem geistlichen Kampf als sehr lebendig erlebt.
Und wenn ein Mensch mit dem Psalm 130 bereit ist zu lernen, wieder auf die Gnade zu warten, dann hat vielleicht ein Baum nach dem Winter vielleicht gerade erste Anzeichen für gute Frucht gezeigt.

Psalm 130,1 „Ein Wallfahrtslied. Aus den Tiefen rufe ich zu dir, HERR. 2 Herr, höre auf meine Stimme! Lass deine Ohren aufmerksam sein auf die Stimme meines Flehens! 3 Wenn du, Jah, die Sünden anrechnest, Herr, wer wird bestehen? 4 Doch bei dir ist die Vergebung, damit man dich fürchte. 5 Ich hoffe auf den HERRN, meine Seele hofft, und auf sein Wort harre ich. 6 Meine Seele ⟨harrt⟩ auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen, die Wächter auf den Morgen. 7 Harre, Israel, auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm. 8 Ja, er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden.“